12 Januar, 2010

Weltkulturerbe Zollverein, die Wiederkehr der Industrieromantik










Ausgehend von dem am Wochenende stattgefundenen Event auf Zollverein mit der Eröffnungsfeier für die Kulturhauptstadt 2010 im Schneesturm, möchte ich, der einige Jahre dort verbracht hat, meine Gedanken dazu vorstellen.




Meine erste Begegnung mit Zollverein fand Anfang August 1970 statt. Ich war frisch angelegter Auszubildender mit dem Ziel Starkstromelektriker. Als ich an meinem ersten Arbeitstag in der Mittagszeit die Toilette aufsuchte, bekam ich einen Schock, denn es fehlten dort vor den Kabinen die Türen. Gleich ging ich zurück zu den Ausbildern um diesen Mangel zu reklamiert, was dort aber nur ein müdes Lächeln bewirkte und ich bekam den Rat, ich hätte ja nun mindestens 3,5 Jahre Zeit mich mit den Gegebenheiten auf Zollverein vertraut zu machen.




Es war für mich dann keine Frage, dass ich ein Jahr später bei den Jugendvertreterwahlen kandierte und mit dem Versprechen, mich für den Einbau von Toilettentüren einzusetzen, prompt die meisten Stimmen erlangte.




Wenn ich höre, dass Zollverein als die "schönste" Zeche im Ruhrgebiet oder sogar als "Bauhaus" Zeche bezeichnet wird, läuft es mir kalt den Rücken herunter. Ich habe die Architektur der Tagesanlagen von Schacht XII mit seiner extremen Symmetrie immer nur als sehr beängstigend wahrgenommen - bis heute übrigens! Besonders wenn man mittig zwischen den Hallen A und B auf das Kesselhaus mit dem mindestens 70m hohen Schornstein (wurde leider abgerissen) zuging, kam man sich als Däumling vor. Kann mir keiner erzählen, dass dieser Effekt der Einschüchterung nicht von den hoch gelobten Architekten Schupp und Co. voll beabsichtigt war.

Zu meiner Zeit wurde übrigens der Schacht XII noch gelegentlich "Albert Vögler" Schacht genannt Erst später fand ich raus, dass dieser Herr (Manager der Vereinigten Stahlwerke etc.) ein Nazi der ersten Stunde war.


Übrigens war eine starke Affinität zum Nationalsozialismus nicht nur ein Privileg der Betriebsführung während des Krieges, sondern auch der eine oder andere Kumpel machte dabei mit. Es war genau am 20.4.1973, ich war da schon Jugendvertreter, als mich ein Kollege aus dem gleichen Ausbildungsjahr verstört ansprach und sagte, ich solle doch mal schnell in die Halle B gehen, dort würden seltsame Dinge geschehen. Als ich die Elektrowerkstatt betrat, bemerkte ich nur, dass eine hier festliche Stimmung herrschte, das Werkzeug war weggeräumt, der Boden gefegt, die Werkbänke mit Planen bedeckt, auf denen Frikadellen, Mettbrötchen, Kartoffelsalat und Bier standen. Zweifelsohne war eine intime Geburtstagsfeier im Gange. Als ich mich dann nach dem Geburtstagskind erkundigte, sagte man mir leicht lächelnd "der Adolf"!




Ein oft gehörter Spruch während der Ausbildung war der Satz "die Zeche ist kein Rosengarten". Daher bestanden meine ersten Aktivitäten als Jugendvertreter darin, den Umstand abzuschaffen, dass Auszubildende von ihren Ausbildern auf Zollverein geschlagen wurden. Dabei wurde nicht nur unter Tage im Lehrrevier auf Schacht III von den Meisterhauern gern mit der Meterlatte zugelangt, sondern auch in der Bergberufsschule (Zollverein besaß praktischerweise eine eigene Berufsschule). Dort meinte ein Pfarrer im katholischen Religionsunterricht, dem Wort Gottes mit harter Hand Nachdruck verleihen zu müssen.




Wie der Schornstein des Kesselhauses steht auch die Bergberufsschule Zollverein nicht mehr und das Gelände ist weiträumig abgesperrt. Man hatte nämlich herausgefunden, dass die Berufsschule auf dem Gelände der ehemaligen Kokerei von Schacht III stand und dass dort im Boden Unmengen an hochgiftigen Substanzen vermutet werden. Zufall, dass mittlerweile 2 Kollegen aus meinem Ausbildungsjahr an Krebs gestorben sind?




Mein Antrieb zur Weiterbildung kam deshalb nicht aus dem Wunsch nach leichterer, besserer oder lohnender Arbeit, sondern allein aus dem Streben, als Mensch behandelt zu werden.




Auf meiner Habenseite der Zollverein Zeit steht eine grundsolide handwerkliche Ausbildung nicht nur als Elektriker sondern aufgrund des 6 monatigen Grundlehrgangs Metall auch in der Metallbearbeitung. Nach diesen und vielen weiteren Erlebnissen über- und untertage, kann mich eigentlich nichts mehr so richtig in Erstaunen setzen und glücklicherweise habe ich auch seit Mitte der 90er Jahre keine Alpträume mehr, dass ich wieder auf Zollverein arbeiten müsste.




Ich betrachte deshalb den Hype, den ein Teil der Kulturschickeria um Zollverein veranstaltet, sehr skeptisch. Meine Vermutung ist, dass ein Großteil dieser Leute die Erfahrungen und Leiden der Kumpels einer naiver Industrieromantik nachgeben.





1 Kommentar:

Albenstern hat gesagt…

Hallo Jürgen,
allein die Sache mit den Toilettentüren lässt ja schon tief blicken. Aber die Geburtstagsparty ist wirklich der Hammer.

Mich ärgert sehr, dass nun der Gruß "Glück auf!" sehr trendy ist. - Sicherlich wissen die -Benutzer- in den meisten Fällen nicht einmal was er eigentlich bedeutet. Ich empfinde es als Beleidigung und Aberkennung der Leistung aller Bergleute, die einzigen, die den Bergmannsgruß verwenden dürfen/sollten.
LG
kelly.unscharf